Schon seit Jahren hatte ich mit Rückenschmerzen und chronischen Kopfschmerzen zu kämpfen, doch wusste ich nie, was genau diese Schmerzen ausgelöst haben soll. Verspannungen, dachte ich. Einfach nur muskuläre Verspannungen, wie es wohl jeder Mensch kennen mag.
Seit über 10 Jahren bin ich nun im Roten Kreuz. Im letzten Jahr, 2016 mussten alle Mitglieder unserer Bereitschaft für eine Kontrolluntersuchung zu einem Hausarzt gehen und sich untersuchen lassen. Reine Routineuntersuchung, damit die Papiere stimmen, ich war ja nicht krank.
„Ach Du scheisse!„
Das waren die Worte, welche ich aus dem Mund des dortigen Arztes vernahm, welcher seinen Blick gerade auf meinen Rücken gerichtet hatte. ‚Reine Routineuntersuchung, ich war ja nicht krank‘. Scheisse war’s! Der Arzt verstand nicht, wie den Leuten um mich herum nie etwas aufgefallen war oder wieso mein damaliger Kinderarzt nie etwas bemerkt hatte.
„Skoliose.„
Skoli- was? Ich konnte das Wort, welches der Arzt mir an den Kopf warf nicht einmal richtig aussprechen. Unter einer Skoliose versteht man die dreidimensionale Verbiegung und Verdrehung der Wirbelsäule. Etwa 2% der Menschen sind von dieser Krankheit betroffen und meistens sind dies Mädchen. Im Normalfall wird die Skoliose bereits im Kindesalter entdeckt und es wird sofort mit einer Behandlung angefangen, da hier die Wirbelsäule noch sehr weich ist und der Körper sich noch im Wachstum befindet. Die Skoliose wird zunächst ausgemessen und in Cobb-Winkeln angegeben.
Bei einer leichten Skoliose (10° bis 20° Cobb) wird einfach nur mit Krankengymnastik behandelt. Ab 20° Cobb bekommt der Patient meistens ein Korsett aus Kunststoff, welches die Wirbelsäule im Wachstum zurecht biegen soll. Dieses muss fast den ganzen Tag und die Nacht über getragen werden. Bei sehr hochgradigen Skoliosen (in etwa ab 80° Cobb) kann eine Operation hilfreich sein. Hierbei wird die Wirbelsäule gerichtet und versteift. Dieser Eingriff ist nicht zu unterschätzen, da er auch sehr riskant sein kann. Die Mutigen können gerne auf Google-Bildersuche gehen…
Mit halb nacktem Oberkörper stand ich nun also in dem Arztzimmer und wusste nicht, was mich jetzt erwarten würde. Ich war schon 19 Jahre alt und kein kleines Kind mehr, das noch im Wachstum ist.
Als ich daheim war betrachtete ich meinen Körper im Spiegel. Ich musste heulen.
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Meine Reise ging weiter zu einem anderen Arzt (Arzt Nr.2), einem Orthopäden. Dort wurde ich geröntgt und sah zum ersten Mal meine Wirbelsäule. Es war ein Schock für alle Beteiligten.

Den Winkel der Krümmung, wollte mir der Arzt allerdings nicht ausmessen. Er meinte lediglich, dass bei mir nicht mehr viel zu machen sei und eine OP meine einzige Möglichkeit auf ein besseres Leben wäre. Ich sei selbst Schuld gewesen. Immerhin verschrieb mir Arzt Nr.2 noch Krankengymnastik.
Bereits nach dem ersten Termin bei der Krankengymnastik waren meine Dauerkopfschmerzen weg. Es war wie der Himmel auf Erden. Auch wurde mir dort Mut gemacht: „Wir schaffen das. Auch ohne eine OP.“ Leider war das Rezept für die Krankengymnastik bald aufgebraucht und somit stellte ich einen Antrag an die Krankenkasse auf ein Langzeitrezept.
Es wurde abgelehnt.
Ich legte Widerspruch ein.
Er wurde abgelehnt.
Ich begab mich erneut zu Arzt Nr.2 und hoffte auf Hilfe. Auch hoffte ich auf ein neues Rezept, da mir die Krankengymnastik (KG) erstaunlich gut tat. Doch der Arzt weigerte sich mir noch eines auszustellen und er warf mir erneut die alleinige Schuld für meine Krankheit vor. Ich war nicht einmal 5 Minuten im Behandlungszimmer. Ich konnte mich nicht einmal setzen, da war der Arzt schon wieder weg. Immerhin wusste ich somit, wo ich nicht mehr aufkreuzen würde.
Doch ich gab nicht auf! Und schon war ein weiterer Termin bei einem anderen Orthopäden vereinbart (Arzt Nr.3). Dieser Arzt war wesentlich freundlicher und beantwortete auch meine Fragen. Doch das Thema Korsett lehnte er strikt ab. Eine OP, DAS sei meine einzige Chance. Mit Tränen in den Augen fuhr ich nach Hause.
Ich hatte mich lange nicht mehr so alleine gefühlt. Alleine und verzweifelt. „Wieso wollen mich alle Ärzte aufschneiden? Und dann auch noch den kompletten Rücken entlang? Ich will das nicht… Ich habe so unbeschreiblich große Angst…„
Ich informierte mich. Ich trat einer Facebook-Gruppe bei. Ich lernte andere Skoliose-Patienten kennen. Erwachsene. Erwachsene Menschen mit Skoliose, welche genau das gleiche Problem hatten: Sie wollten ein Korsett, bekamen aber keines. Dabei gab es etliche Beweise dafür, dass auch bei ausgewachsenen Menschen eine Verbesserung erzielt werden konnte. Dennoch gab es auch Leute in der Gruppe, welche ein Korsett bekommen hatten. Mir wurden Ärzte empfohlen. Dabei fiel ein Begriff immer wieder: Bad Sobernheim.
Termin ausgemacht. Warten. Endlich war es soweit.
Bad Sobernheim – Ein kleines Kaff, ich glaube das trifft es am besten. Als mein Vater und ich uns früh morgens mit dem Auto auf den Weg machten, wussten wir nicht, was uns dort erwarten würde. Je näher wir dem Ort kamen, desto weniger Menschen begegneten uns, es war echt unheimlich. Das Medizinische Versorgungs Zentrum (MVZ) in Bad Sobernheim ließ sich schnell finden und so nahm ich meinen Termin bei dem dortigen Arzt (Arzt Nr.4), Dr. Kay Steffan, wahr.
Ich muss sagen, dass mir noch nie so ein kompetenter Arzt begegnet ist. Er nahm sich sehr viel Zeit für mich, klärte mich über die Krankheit auf und er vermaß, als einziger, sofort meine Skoliose. 44° Cobb im BWS-Bereich. Eine OP lehnte er sofort ab, mit der Begründung, dass die meisten Ärzte immer viel zu schnell operieren wollen. Geld. Unwissenheit. Er nannte einige Gründe und ich spürte, dass dieser Mensch seine Patienten ernst nahm. Man kann sagen, er war einfach nur menschlich.
Dr. Steffan verordnete mir erneut KG, Einlagen für die Schuhe und ein Korsett. Noch am selben Tag wurde ich in Bad Sobernheim gescannt und ausgemessen, da der Korsettbauer sich im selben Gebäude befindet. Praktisch!
Doch der Kampf ging weiter. Nun lag es mal wieder an der Krankenkasse. Sie mussten die Kostenübernahme für das Korsett erst genehmigen. Ich sage nur soviel: Es war ein harter und langer Kampf…
Mit der Hilfe von Dr. Steffan gelang es uns im neuen Jahr, 2017, die Krankenkasse endlich milde zu stimmen. Ich bekam die Zusage und am 03. Februar ging es für mich erneut in das Geisterdörfchen nach Bad Sobernheim.
Der Tag zog sich. Mein Vater und ich mussten viel warten, ich musste immer wieder mit zur Korsettanprobe und im Kopf stellte ich mir nur immer wieder die Frage, wie ich dieses unbequeme Dinge aus Plastik jemals 16 Stunden am Tag tragen sollte.
Am Abend schaffte ich es immerhin auf stolze 2Stunden, 30 Minuten Tragezeit.
Ich war komplett erschöpft aber glücklich.
Endlich wurde mir eine Chance gegeben gegen diese Krankheit zu kämpfen! 🙂
